Auf Öl gebaut

Auf Öl gebaut

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 03/2018

Wird in Berlin eine Hochhausdiskussion geführt, reicht der Mut bis maximal 120 Meter. Weil die Stadt ja angeblich in ihrer DNA eine besondere Flachheit eingebaut hat. Was für eine Historie sollte denn dann für Dubai zugrunde gelegt werden?

Wir verpassen unseren Anschlussflug und erleben in Amman eine Wüstenmetropole, die sich ohne Ölmilliarden, aber mit Millionen Flüchtlingen, weitab von internationalen Handelsströmen durchbringen muss. Jordanien grenzt an die Krisengebiete Palästina und Syrien, der Jordan und das Tote Meer sind nahezu ausgetrocknet, viel mehr touristische Attraktionen sind seit der Römischen Antike nicht entstanden. Die Menschen hier haben es schwer in der staubigen Hitze über die Runden zu kommen. Immerhin, es herrscht Frieden.

Ölmilliarden

Vier Stunden später können wir sehen, wie anders eine Wüstenstadt mit Ölmilliarden aussieht. Wir landen staunend in Abu Dhabi, der boomenden Hauptstadt der VAE, der Vereinigten Arabischen Emirate. 8 % der Weltölreserven finden sich hier unter dem Wüstensand der sieben kleinen Scheichtümer, die sich nach ihrer Unabhängigkeit von Great Britain 1971 zu einem Staat zusammenschlossen. Zwei Generationen später haben die Milliarden aus dem Ölgeschäft und konsequentes Staatsmanagement ausgereicht, um aus Dörfern von Beduinen und Perlentauchern blitzblanke Millionenstädte zu zaubern.

Superlative sind das Ziel

Nach überstandener Krise wachsen heute die Hochhäuser wieder im Fast Forward Modus in den Himmel. Für diese Stadt gewordene Marketingkampagne sind Superlative das Ziel. In Dubai findet sich der größte Flughafen der Welt (70 Millionen Passagiere/Jahr), das höchste Hochhaus der Welt (Burj Khalifa, 820 m), die größte künstliche Insel (The Palm), das Hotel mit den meisten Sternen (Burj al Arab), die längste Indoor-Skipiste (400 m Abfahrt), das größte Aquarium (3-geschossig), usw.

Benommen von all den schwindelerregenden Zahlen taumeln wir morgens um 4 Uhr in unser Hotel (3 Stunden Zeitunterschied). Passend zu unserer körperlichen Verfassung windet sich die Konstruktion dieses Turmes in den Nachthimmel (natürlich das schiefste Hochhaus der Welt, Capital Gate, 18% Neigung. Der Hubschrauberlandeplatz ist wieder gerade).

Die zeitweise massiv hohen Ölpreise und die weltweit niedrigen Zinsen befeuern bis heute einen grandios unbeschwerten Wachstumskurs. Aber mit dem absehbaren Ende der Ölreserven in Dubai steigt der Druck, sich davon unabhängig zu machen. 

Tourismus (Architektur als Lockvogel) und Handel (Seehafen, Flughafen, Ost-West, Nord-Süd Drehscheibe) sind die Hoffnungsträger.

Auch wenn einige der neuen Quartiere nur über die wahrscheinlich längste Tankfahrzeugschlange der Welt an das öffentliche Klärwerk angebunden sind, wird bereits das nächste höchste Haus der Welt von Calatrava geplant („sehr hoch“, noch geheim) und zur Weltausstellung 2020 ist der neueste, größte Großflughafen der Welt auch eröffnet.

Liberales Geschäftsklima

Die Muezzine rufen hier leiser zum Gebet, das Geschäftsklima ist liberal („Was für den Handel gut ist, ist auch fürs Land gut“), Platz 8 von 180 Ländern im Index der Wirtschaftlichen Freiheit. Das Pro Kopf BIP liegt bei 38.000 US$ (Deutschland 42.000 US$). Wenn ein Emirati heiratet, bekommt er ein Haus geschenkt. Ausbildung ist umsonst, eine Anstellung ist garantiert, Steuern sind nicht zu entrichten.

Autoritäres Regime

Aber zwischen den Emiraten und Europa liegen politisch und kulturell Welten. Die VAE sind ein autoritär regierter Staat (Platz 147 von 167 Ländern im Demokratieindex). Auf die 1 Millionen Emiratis kommen mittlerweile 9 Millionen ausländische Arbeitsimmigranten aus allen Teilen der Welt, vorrangig aus Indien und Südostasien. Deren Aufenthaltserlaubnis gilt jeweils für zwei Jahre, kann mit entsprechendem Job verlängert werden, muss aber nicht. Einbürgerung? Gibt es nicht. Bauarbeiter? Geben ihren Pass ab und schuften für ein Minimum (Immer noch besser, als zuhause ohne Job). Gewerkschaften? Verboten. Sicherheit der Arbeiter? Nachrangig. Zensur? Gilt generell für digitale und analoge Informationen. Nachhaltigkeit? Ein Fremdwort. Das Land hat pro Kopf der Bevölkerung den größten ökologischen Fußabdruck der Welt.

Deshalb droht der Ruf der VAE wie der Saudi Arabiens zu kippen. Autokratische Monarchien tun sich naturgemäß schwer mit dem Aufbau pluralistischer und kreativer Gesellschaften. Hier werden zwar schnelle und weitreichende Entscheidungen getroffen, aber nicht unbedingt nachhaltige. Der Burj Khalifa ist zwar als höchstes Hochhaus ein großer Werbeerfolg, vor dem die Touristen Schlange stehen. Aber in einer Wüstenumgebung mit über 50 Grad ohne Schatten ist der Kühl-und Erschließungsaufwand eines so oberflächenreichen, aufragenden Volumens aberwitzig hoch.

Bodennahe, selbstverschattende Gebäudestrukturen ähnlich den traditionellen arabischen Bauformen sind da viel besser geeignet. Warum sollten dafür nicht auch die Touristen kommen? In Deutschland stehen die Menschen bei dem Thema Hochhaus auch Schlange. Aber nicht, um als Erste auf die Aussichtsplattform zu gelangen, sondern, um gegen die Verantwortlichen zu demonstrieren. Was läuft da also anders? Wenn junge, autokratische, ölreiche Gesellschaften (VAE: 30 Jahre Durchschnittsalter) Entscheidungen treffen, dann sind die durchaus wagemutiger und symbolträchtiger, als die pluralistischen, älteren (D: 45 Jahre), die diverse Positionen berücksichtigen wollen.

Wenn also in Berlin eine Hochhausdiskussion geführt wird, reicht der Mut bis maximal 120 Meter. Wenn überhaupt. Weil die Stadt ja angeblich in ihrer DNA eine besondere Flachheit eingebaut hat. Was für eine Historie sollte denn dann für Dubai zugrunde gelegt werden? Fischerdorf? Leistungsfähige Städte sind die Ergebnisse fortlaufender Abstimmungen von möglichst vielen, gegensätzlichen Protagonisten. Die Ergebnisse sind häufig differenzierter und nicht selten von größerer Dauer. Auch wenn ich an der Langsamkeit und der Tragik vieler Entscheidungen am Rande des Scheiterns häufig verzweifle, gibt es kaum leistungsfähigere Strukturen, wenn es um die Schaffung lebendiger und nachhaltiger Städte geht.

Veränderungen von innen

Im neueröffneten Louvre Abu Dhabi, unter der 180 m großen Flachkuppel, die 55 kubische Baukörper und eine offene Agora überspannt, wird mir das so klar. Ich sehe ein Meisterwerk zeitgenössischer Architektur von Jean Nouvel. In Partnerschaft mit dem Pariser Louvre und Frankreich wurde ein Museum von Weltklasse ins Meer gestellt. Die Eröffnungsausstellung bietet einen polyzentrischen Blick auf die Kulturgeschichte der Menschheit. Hier finden sich eine Madonna und eine Koranschrift in einer Vitrine und die Marmorbüste des kritischen Aufklärers Voltaire lächelt neben dem Diktator Napoleon.

Die Ausstellung steht für Aufklärung, Toleranz und Respekt. Das sind die Treibstoffe für pluralistische, kreative, innovative Gesellschaften. Die sind immer hart erkämpft. Doch die Ausstellung zeigt die Auseinandersetzungen dahinter nicht und passt sich damit an eine konfliktarme, durch Ölmilliarden ruhig gestellte Gesellschaft an, die zum ersten Mal ein Museum für internationale Kunst eröffnet. In Wirklichkeit wurde jeder Fortschritt in der Menschheitsgeschichte kontrovers und leidensreich erkämpft.

Ältere Gesellschaften können, wie im Louvre Abu Dhabi zu sehen, eine Inspiration sein, aber die Veränderungen müssen aus dem Inneren einer Gesellschaft heraus entstehen.

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben mit ihren Städten einen Anfang geschafft. Aber sie haben bis zu einer inklusiven, kreativen, sich selbstversorgenden, von Öl, Gas und Diktatur unabhängigen Gesellschaft bestenfalls noch einen langen, steinigen Weg vor sich.