Eine Bauakademie für alle

Eine Bauakademie für alle

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 05/2017

Dieses Projekt bietet die Option, alle Akteure zusammenzubringen. Ich stelle mir ein Haus für demokratisches Bauen vor. Einen Ort, an dem über die bauende Demokratie nachgedacht wird.

Wer jetzt von Unter den Linden kommt und über die Schlossbrücke fährt, vorbei an den strahlend weiß restaurierten überlebensgroßen Helden und Siegesgöttinnen, wird Zeuge einer sagenhaften Auferstehung! Mitten in Berlin wird ein Schloss gebaut. Wie bei Wotan im Ring des Nibelungen. Herrschaftsarchitektur um der Architektur willen. Repräsentativ, königlich, größer als das Tagesgeschäft. Geschuldete Kraft aus barocken Tagen. Der wuchtige Rohbau mit seinen riesigen geschlossenen Wänden türmt sich inzwischen felsenfest in den Stadtraum und nähert sich drohend seiner Fertigstellung.

Nach mühevoller Suche und umfangreichen Umplanungen ist mittlerweile klar, es wird das Haupthaus eines Bildungsbürgertums, das sich und seiner eigenen Generation nicht zutraut, ihre Mitte, ihr architektonisches Zentrum selber zu erfinden. Vielleicht haben sie sogar Recht, denke ich, während mein Blick auf der Ostseite über die einzig neue Fassade schweift: ein Stein gewordenes Monument tektonischer Starrköpfigkeit, ein skaliertes Architekturmodell, Filmkulisse für Gulliver bei den Riesen, vielleicht Heimstatt sagenhafter Licht-Alben, auferstanden wie aus Wagner‘scher Götterdämmerung. Auch hier hat es Hunderte von alternativen Entwürfen für die Rekonstruktion gegeben. Aber die Entscheider trauten sich eine ähnlich starke Architektur, wie sie den preußischen Monarchen vor über 300 Jahren gelang, nicht zu. Eine einmalige Angstentscheidung, ein einzigartiger Ausrutscher? Weit gefehlt. Es geht schon weiter. Klar, ein Schloss braucht auch eine historische Umgebung. Wer könnte nicht darauf kommen? Am besten soll gleich die ganze Berliner Altstadt wieder aufgebaut werden.

Dazu zählt auch die Bauakademie. Seit über 20 Jahren wird darüber debattiert. Die von Karl Friedrich Schinkel 1836 fertiggestellte Akademie war mal ein Meilenstein der bautechnischen Entwicklung. Sie hat zwar den Krieg überstanden, wurde aber 1962 für das DDR-Außenministerium abgerissen. Das ist dann selber dem Nachwende-Revanchismus zum Opfer gefallen und wurde 1995 abgebrochen. Nun soll wiederum sein Vorgänger an dieser Stelle aufgebaut werden. Eine Bürgerinitiative hat bereits vor Jahren ein Baugerüst mit Fassaden-bedruckter Plane in Originalgröße aufgestellt. Und wer kann sich nicht an die von Azubis nachgemauerte Originalecke vor der Abbruchruine vom Palast der Republik erinnern? Die einen gehen, die anderen kommen. Aber wohin? Jetzt zieht der Bund die Geschwindigkeit an und übernimmt die Führung. Im November 2016 entschied der Bundestags-Haushaltsausschuss, 62 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Bauakademie zur Verfügung zu stellen. Die Bundesstiftung Baukultur hat nun die Aufgabe, den Diskurs zur Vorbereitung eines Wettbewerbes zu moderieren. Für diese Art Pro-forma-Beteiligungsverfahren sollen drei öffentliche Sitzungen in drei Monaten ausreichen.

Zuerst das Haus, dann die Nutzung

Alles muss schnell gehen, der Wettbewerb soll noch vor den Wahlen auf den Weg gebracht sein. Im Frühjahr 2021 soll dann der 240. Geburtstag des großen Baumeisters im neuen alten Haus gefeiert werden. Leider sind das politische Termine, die mit dem Meinungsbildungs-, Planungs- und Bauprozess nichts zu tun haben. Warum sollte man auch aus Fehlern lernen? Haben doch gerade die politischen Terminplanungen in Verbindung mit Änderungen während der Bauzeiten besonders spektakulär zuletzt beim Flughafen BER und bei der Elbphilharmonie zu einer desaströsen Eskalation der Kosten geführt. Der Wahnsinn geht also in die nächste Runde. Denn auch hier soll erst mal gebaut werden, ohne dass die Nutzung geklärt ist.

Aber wer kann und soll das Haus mit Leben füllen? Für welche Institution soll dieser Ort Heimstätte werden? Bei den ersten öffentlichen Debatten haben sich zwei Bewerber schon mal in Position gebracht: die Technische Universität Berlin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dazu hat sich eine Gruppe aus Kuratoren, Kritikern und Architekten für einen nicht zwingend historisierenden Wettbewerb ausgesprochen. Demnach könnte es so etwas wie das Canadian Center for Architecture in Montreal oder die Pariser Cité de l‘architecture werden. Auch die Möglichkeit, kein Gebäude zu bauen und für die 62 Millionen Euro Kulturfestivals oder ganz einfach Ausstellungen von den bereits vorhandenen Architekturgalerien zu veranstalten, soll nicht ausgeschlossen werden.

Ich habe Sympathien für diese etwas nachdenklichere, zweifelnde Position, die mehr Zeit für den Meinungsbildungsprozess einfordert – wenn nicht die Diskussion um den Wiederaufbau der Bauakademie bereits 20 Jahre dauern würde. Und leider haben bisher nur alle beteiligten Gruppen ein Haus für sich selbst propagiert. Die Stiftung für den preußischen Kulturbesitz, die TU für die Universität und die Architekten für die Architekten. Alle denken im Wesentlichen über weitere Ausstellungsräumlichkeiten nach. Aber ähnliche Orte gibt es bereits an vielen Stellen in der Republik. Deutschland ist reich an mit Baukultur befassten Akteuren und bietet eine weltweit einzigartige Dichte an Stiftungen, Schulen, Museen, Galerien, Kammern, Verbänden und Vereinen. Dieses Projekt bietet jedoch eine neue Option: nämlich die Chance, all diese Akteure zusammenzubringen! Ich stelle mir hier ein Haus für demokratisches Bauen vor. Einen Ort, an dem über die bauende Demokratie nachgedacht wird. Einen Ort der Forschung und Beratung, ein Institut, das allen an der zeitgenössischen Stadt beteiligten gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam Forum, Heimstätte und Orientierung ist. Eine Akademie, die die zeitgenössischen Entwicklungs- und Produktionsbedingungen von Städten analysiert, den aktuellen Stand des Diskurses abbildet, hinterfragt und Vorschläge zum Bessern erarbeitet.

Es geht darum, die unterschiedlichen Akteure mit ihrem spezifischen Wissen und ihren diversen Bedürfnissen über die Fachgrenzen hinaus systematisch und kontinuierlich zusammenzubringen. Um aus den spezialisierten Kenntnissen und diversen Perspektiven Vorschläge zu entwickeln. Vorschläge, wie pluralistische, vielfältige Städte unter kluger Ausnutzung der jeweiligen Ressourcen besser werden können. Immer noch werkeln die einzelnen Akteure so vor sich hin, sind nicht ausreichend vernetzt und verschwenden die gemeinsamen Potenziale. Vorurteile, Ressentiments und Unkenntnis sind die Hürden, die es zu überwinden gilt. Das Schlüsselthema ist in Erweiterung der berühmten Rede von Adolf Arndt die Demokratie als Bauherr, die bauende Demokratie.

See, Berg, Bau?

Welche Seefahrernation traut sich auf hohe See ohne Marineakademie? Welche Bergbaunation kilometertief unter die Erde ohne Bergakademie? Aber warum gibt es noch keine Bundesbauakademie, die die bauende Demokratie so qualifiziert, dass sie ihren Aufgaben besser gerecht wird? So eine Institution, so ein anwendungsbezogener, überparteilicher Think-Tank, kann viel Wirkung in den politischen Kontext hinein entwickeln und große strukturelle Themen angehen. Packen wir die Aufgabe bei den Wurzeln, nutzen wir die historische Gelegenheit und grüfden die Bauakademie neu! Die Akademie für demokratisches Bauen. Die wird dann auch in die Immobilienwirtschaft und in die Politik hineinwirken und tatsächlich einen dringend benötigten Struktur- und Kulturwandel herbeiführen.