Häuser wie Autos

Häuser wie Autos

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 05/2016

Ingenieurtechnisches Effizienzdenken verliert oft Nutzerbedürfnisse aus dem Blick. Stadtquartiere entstehen ohne städtebauliche Leitbilder, architektonische Qualifizierung, Meinungsbildungen. Es drohen Gettos.

Joseph Monier, der für die Gärten in Versailles Pflanzkästen aus Zement mit Drahtgewebe für die transportablen Orangenbäumchen entwickelte, erfand damit schon fast den Stahlbeton. Die Idee des modularen Bauens ist so alt wie die Architekturgeschichte. Joseph Paxton hat es mit seinem Kristallpalast für die erst Weltausstellung 1851 allen vorgemacht. Auf- und Abbau innerhalb von wenigen Monaten. Alles kam in Modulbauweise aus vorgefertigten Eisenteilen und Glassegmenten auf die Baustelle, mitten im Hyde Park.

Auch der Eiffelturm wurde 1889 in nur zwei Jahren gebaut. Im Baukastenprinzip vorfabriziert und vor Ort zusammengenietet. Eine geniale Konstruktion eines genialen Ingenieurs und Geschäftsmannes. Die Idee, Häuser wie Autos am Fließband zu bauen ist so alt wie die moderne Architektur. Auch Le Corbusier mit seinem Modulor und Mies mit seinem Farnsworth House waren begeistert von den Möglichkeiten industrieller Vorfertigung. Häuser sollten aussehen wie Ozeandampfer und genau wie diese vorfabriziert werden.

Auch ich wuchs, wie viele meines Alters, mit Legosteinen und Bauklötzen verstreut in meinem Kinderzimmer auf und war begeistert von den Möglichkeiten aus 2ern, 4ern, 6ern Rinder, Pferde, Cowboy und Indianer zu bauen. Mein erster Entwurf setzte sich aus tiefgezogenen Fensterblechen von Güterwaggons zusammen. Meine ersten realisierten Objekte waren Vordächer aus Windschutzscheiben oder Flugzeugteilen, die ich auf Schrottplätzen fand und mit Stahl Unterkonstruktionen an bestehende Häuser schraubte. Bereits früh war ich fasziniert von der Möglichkeit, Häuser wie Autos zu konstruieren. Formenreich wie ein Ferrari Testarossa und mit der perfekten Innenausstattung eines Sechser BMW. Deshalb bin ich auch nach London gegangen, um bei Norman Foster und später bei Richard Rogers zu arbeiten. Beide hatten bereits in den sechziger Jahren, wie zuvor Ray und Charles Eames oder Buckminster Fuller in den USA, Häuser aus industriell vorfabrizierten Elementen zusammen geschraubt.

Die Vorteile Modularen Bauens sind bekannt:

Die Entwicklung von Prototypen mit anschließender industrieller Vorfertigung kann enorme Zeit- und Kostenvorteile eröffnen bei deutlich präziserer Ausführung. Trotzdem ist modulares Bauen im konservativen Wohnungsbau bis heute nie wirklich angekommen. Erst mit der Forderung nach preisgünstigen Wohnungen und der Notwendigkeit schnell zu handeln rückt modulares Bauen wieder in den Fokus. Denn über das Thema der Flüchtlingsunterbringung führt die Diskussion geradewegs zu der Notwendigkeit kostengünstigen und sozial integrierten Wohnungsbau zu realisieren. In den großen deutschen Städten toben Verdrängungswettbewerbe, nahezu jeder zweite Bewohner ist sozialwohnungsberechtigt, aber noch nicht einmal sieben Prozent der vorhandenen Wohnungen stehen dafür zur Verfügung.

Über Jahre hat das nur wenige interessiert. Doch jetzt sollen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften das Versäumte blitzartig nachholen. Das sind die Gesellschaften, die noch bis vor kurzem „privatisiert“, also abgeschafft werden sollten. Sie werden jetzt beauftragt, Tausende von Wohnungen im Jahr zu errichten. In dieser Situation fällt der Blick erneut auf die, über Jahre im tendenziell denkfaulen und innovationsfeindlichen Wohnungsbau vernachlässigte Modulbauweise.

Typisierte Bauten müssen nicht einzeln von der Verwaltung genehmigt werden. Sie sind als Serienmodelle wie bei einem Autohersteller mit Statik und Brandschutz ausgestattet und abgenommen. Das spart in der Regel ein ganzes Jahr Genehmigung- und Planungszeit. Bis zu sechs Geschosse hoch können diese Typengebäude werden. Dabei, sollen sie, wie ganz konventionelle Häuser, bis zu 90 Jahre lang halten. Dazu müssen sie der EnEV entsprechen, besonders flexibel sein und später gegebenenfalls als Hotels, Studentenwohnheime oder konventionelle Wohnungen genutzt werden können, wie es in der Ausschreibung des Berliner Senats heißt. Wer dabei an Plattenbau oder an die westdeutschen Großwohnsiedlungen denkt, liegt nicht falsch. Auch heute geht es um serielles Bauen. Das bedeutet mindestens Sandwichpaneele für die Fassade und vorgefertigte Badzellen.

Mit der Entscheidung für die Modulbauweise beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Die ambitionierten Terminpläne fordern kurzfristige Entscheidungen. Die Fundamente und das Untergeschoss werden konventionell vor Ort erstellt, während gleichzeitig die Module in witterungsgeschützten Werkhallen wie in der Autoindustrie produziert werden. Oberflächenbeläge, Sanitärobjekte, Beleuchtungselemente, Medientrassen und andere Festeinbauten werden bereits im Werk installiert und in wenigen Tagen vor Ort aufgestellt. Die Endarbeiten an Außenwänden, Dächern und inneren Verbindungen sind in der Regel in wenigen Wochen beendet. Die Serienproduktion ermöglicht eine hohe Detailqualität und den damit verbundenen, sparsamen Einsatz von Materialien und Energie. Auch bei Rückbau, Erneuerung oder Recycling ist die leichte Demontierbarkeit von Vorteil.

Nachteile sind der Transport der sperrigen Container, die dadurch limitierten Gesamtabmessungen und der hohe konstruktive Aufwand durch die doppelten Innenwände und Decken.

Doch das ist nicht Hauptproblem.

Ingenieurtechnisches Effizienzdenken entscheidet sich allzu oft gegen eine architektonische Individualisierung. Und verliert dadurch die Nutzerbedürfnisse aus dem Blickfeld. Denn wer will schon als anonyme Nummer in einem Meer von Gleichem wohnen. Angesichts der schieren Massen geht es panisch einfach nur um ein kostengünstiges Dach über dem Kopf für möglichst Viele. Und die einseitige Konzentration auf die Optimierung des Produktionsprozesses führt allzu schnell zur Vernachlässigung des menschlichen Maßes und der vielfältigen sozialen Notwendigkeiten. Im Ergebnis kommt es schnell zu Plattenbauhochregallagern in monotonen Großsiedlungen ohne Nachbarn, Wüsten des Asozialen, Schneisen der Einsamkeit, der Verrohung und Desintegration.

Das darf aber nicht so sein. Wir wissen heute so viel mehr über sozial erfolgreiches und nachhaltiges Zusammenleben ganz unterschiedlicher Personengruppen. Diese Erkenntnisse müssen auch in diesen neuen Quartieren berücksichtigt werden. Und wenn man das Gestaltungspotenzial der digital gesteuerten Vorfertigung zu nutzen vermag, müssen Standardisierungen heute keineswegs mehr mit Kümmergrundrissen und Waschbeton Wüsten verbunden werden. Doch gute, innovative Lösungen gelingen ausschließlich mit sorgfältiger, neugieriger und kluger Planung.

Aber die bisher bekannten, hektischen Ausschreibungen erwarten bereits fertige Systeme und beziehen allzu häufig Architekten nicht mit ein. So entstehen ganze Stadtquartiere ohne städtebauliche Leitbilder, ohne entsprechende architektonische Qualifizierung und ohne die sonst üblichen Abwägungen und Meinungsbildungen. Bauen ist immer auch der Ausdruck eines gesellschaftlichen Zustandes und geht alle an. Viele über Jahre hart erkämpfte Standards, die gerade zu den verbesserten Lebensqualitäten in den Innenstädten geführt haben, drohen wieder über Bord gekippt zu werden. Modulbau kann helfen, bessere Wohnungen zu entwickeln. Das geht aber nur mit sorgfältiger, ausgewogener Planung. Sonst entstehen heute die Gettos von morgen.