Kreatives Aufräumen

Kreatives Aufräumen

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 07/2015

Zugang zu Ressourcen (ZIA) und Enthusiasmus (Make City) treffen sich nicht. Dabei müssen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen voneinander wissen. Wer öffnet die Fensterläden, wer baut die Brücken?

Wie hab ich das als Kind gehasst! Wieder einmal war Sonntag. Abend. Und mein Bruder und ich hatten unsere Lego und Bauklotz Versuche wieder einmal nicht aufgeräumt.
Weil am Montag unser Spielzimmer wie immer gestaubsaugt werden sollte, beförderte unser Vater, unter der Bürde des erzieherischen Anspruchs plötzlich radikalisiert, alle auf dem Boden befindlichen Sachen kurzerhand aus dem Fenster in den Garten. Damals waren die Erziehungsmethoden noch deutlich rustikaler. Nicht ganz korrekt, aber die, die selber Kinder haben, können diesen Moment der Schwäche etwas milder bewerten.

So oder so ist Ordnung ein Kampfplatz der Generationen. Welche Ordnung? Wieviel Ordnung? Wieviel Eingriff? Wieviel Unordnung? Wieviel Freiheit von Ansprüchen anderer? Für uns war Aufräumen schlichtweg die Zerstörung von dem, was wir über Tage mit konzentrierter Arbeit aufgebaut hatten.

Aufräumen und Entscheiden ist auch heute nur selten toll.

Wie schwer ist es, sich von Liebgewonnenem zu trennen, von Eingespieltem zu lösen. Das aber ist genau der erste Schritt zu Abschied und Aufbruch, zu Allem, was vor uns liegt, zum Rest des Lebens. Voraussetzung auch für Innovation und Fortschritt.

Doch wie im Kinderzimmer muss Neues innerhalb einer Gesellschaft oder einer Gruppe auch immer wieder neu errungen werden. Offene, inklusive Institutionen gehen diesen Prozess aktiv an und tun sich dabei deutlich leichter, als exklusive Ausschüsse. Waren es im England des 17. Jahrhunderts, zum Beginn der neuzeitlichen Demokratie mit dem Adel, den Bürgern und den Bauern angeblich nur drei wesentliche Gruppen, die um die Macht rangen und 1688 ihren König wählten, sind die Verhältnisse heute deutlich unübersichtlicher. Die Linien verlaufen fließend. Höhere Ansprüche, divergierende Bedürfnisse und vielfältigere Meinungsbildung führen zu einem Leben wie in der Waschmaschine.

Letztes Wochenende

bin ich im Gespräch mit indischen Freunden aus Bombay immer wieder zu dieser Frage gelangt: Wie kommt die Ordnung zustande, die hierzulande die meisten Städte aufblühen lässt und Lebensqualität für Viele schafft? Und warum ist das nicht überall anderswo in der Welt genauso? Weil die Leute hier so fleissig sind? Weil sie die richtige Religion haben? Weil es in den Genen liegt? Das richtige Klima? Gute Regierung? Fünf mal nein! Die Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Daron Acemo?lu und James A. Robinson haben in ihrem Buch ‚Warum Nationen scheitern‘ genau diese Fragen untersucht. Und jetzt kommt es: Sie haben inklusive Institutionen als Multiplikatoren für den Erfolg identifiziert.

Gerichte, die für Gerechtigkeit sorgen, keine Klüngelwirtschaft, Schulen, die Talente individuell ausbilden, politische Systeme, die unterschiedlichen Gruppen gleichermaßen Beteiligung bieten und eine offene, pluralistische Gesellschaft, die Kompetenz und Kreativität auf allen Ebenen schätzt, schützt und fördert. Das ist alles! Der Grad der Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in wirtschaftliche und politische Institutionen: Das ist es! Das setzt eine Spirale zum Guten, Besseren und noch Besseren in Gang. Das sorgt dafür, dass Vorhandenes immer wieder in Frage gestellt wird und in Prozessen schöpferischer Zerstörung Innovationen umgesetzt werden.

Wie im Kinderzimmer. Erst zerstören und dann noch besser wieder aufbauen. In elitären Strukturen gibt es hingegen weniger Anreize für Innovationen. Diejenigen, die am Drücker sind, tendieren dazu, diese schöpferische Zerstörung als Veränderung des Status Quo zu fürchten. Wer will schon gerne als Teil der Elite mit neuen Ideen und erstarkenden Konkurrenten um Macht und wirtschaftliche Ressourcen wetteifern, wenn er nicht muss? Aber vergleichen sie selbst. In der vergangenen Woche habe ich zwei Veran-staltungen besucht, die nahezu gleichzeitig in Berlin stattfanden: Der Zentrale Immobilienausschuss ZIA ist ein 2006 gegründeter Wirtschaftsverband. Er vertritt mittlerweile über 200 Unternehmen der Immobilien- und Finanzwelt und über 20 Verbände mit 37.000 Mitgliedern.

Auf dem vom ZIA veranstalteten „Tag der Immobilienwirtschaft“

kommen in Berlin am Westhafen tausend Manager zu-sammen. Ein starker Ort, direkt im Hafen. Das Motto: „Innovativ, lebenswert, bezahlbar - Wie bauen wir morgen?“ Klingt vertrauensvoll optimistisch. Am Eingang haut eine blitzblinke Einautoelektroluxuswagenausstellung eines Sponsors gleich mal den Anspruch der Topentscheider auf den Tisch. Entlang des Tages übergeben Toprepräsentanten freundliche Grußworte. Schon die Anwesenheit zählt. Bundesministerin, EU-Kommissar, Parteivorsitzender, Fraktionsvorsitzender, TV-Moderatorin, Präsidenten, Vorstände, Direktoren, Geschäftsführer. Wir sind super! Es geht unter anderem um „Trends entzaubern, CFOs verzaubern“, „Unsere Städte: lebenswert und bezahlbar statt reguliert und bürokratisch“, anschließend „Networking Night mit Berliner Buffet“.

Ein Zukunftsberater führt vor, wie Passanten durch Augmented Reality von heranstürmenden Tigern zu Tode erschreckt werden. Ganz wie bei dieser – wie heißt sie noch – Fernsehshow. So toll wirds werden in der Immobilienspaßparade der Zukunft! Die Bundesbauministerin hofft beim Einzelhandel in Zukunft auf mehr Tante Emma Läden und bekommt von ihren Gastgebern eine gelbe Wasserwaage geschenkt. Vielen Dank, wir sehen uns!

Der Bund Deutscher Architekten ist Mitglied im ZIA, soweit ich weiss, aber kein einziger Architekt oder Stadtplaner ist gekommen. Jahresbeitrag: 15.000 €. Ein exklusiver Club erfahrener Männer als Vertreter ihrer Interessen. Dicht dran an der Regierung. Unter anderem ist der ZIA Gründungsmitglied der ständigen Projektgruppe der Bundesregierung zum „Bau von Großprojekten“. Und eine Innovationsschmiede mit Innovationsbeauftragtem gibt es auch. Während der Kaffeepause gibts Präsentationen im EG. Toi, toi, toi!

Zugleich findet kaum 20 Minuten entfernt

das erste Festival für Architektur & Andersmachen „Make City“ statt. Die Eröffnung ist in der ehemals sozialistischen Tschechischen Botschaft, heute ein morbider Möglichkeitsraum. An 85 Orten verhandeln über 100 Veranstaltungen über 14 Tage urbane Ressourcen. Es geht um Smart Parks, Zukunftsstädte als Empathiemaschinen, Crowdfunding, urbanen Wandel, Möglichkeitsräume, Guerillia Gardening, Gemeinschaftsgärten, Affordable Living, Designing the Urban Commons, Pre-Fab revisited, Self Made City, neue Formen des Zusammenwohnens- und-arbeitens, partizipative Stadtentwicklung, Baulücken, Flussbäder, Liegenschaftspolitik, Speisekinos, städtische Gemeingüter, Top Down oder Bottom Up? Online-Partizipation, uvm. – in alle Richtungen offen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat kurzfristig die Unterstützung zugesagt. Francesca Ferguson hat die Idee über Monate mit Klugheit und Willenskraft verfolgt und viele zum Mitmachen begeistert. Es gibt es für „Einsteiger und erfahrene Stadtgestalter eine Fülle von Gelegenheiten, sich einzumischen und mitzumachen.“

ZIA und Make City wissen nichts voneinander. Trotzdem gibt es viele gemeinsame Interessen. Was könnte alles geschehen, wenn sich Neugier, Enthusiasmus und Innovationskraft mit der Macht und dem Zugang zu wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen verbände? Der Weg zu Innovation und Fortschritt führt nicht über Exklusivität sondern über eine größere Aufgeschlossenheit gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen. Wer öffnet die Fensterläden, wer baut die Brücken, wer stürmt die Burg und wer räumt auf?