Kunst und Architektur

Kunst und Architektur

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 06/2017

„Sich mit ungewöhnlichen Perspektiven und Formen beschäftigen. Fragen stellen. Den Blick auf das Fremde richten. Widersprüchliches aushalten. Nach Antworten suchen. Beweglicher werden. Das gefällt mir!“

Es regnet, Wellen spritzen über die Quaimauer, ich schließe meine Jacke fester und steige auf das Boot Richtung Insel hinter der grauen Wolkendecke. Die anrollende Instagram- und Facebook-Nachrichtenwelle schickte bereits erste Gischtspritzer voraus: Hunde im Deutschen Pavillon, der Markusplatz unter Wasser, Alexander Kluge in der Fondazione Prada, Damien Hirst monströs. Ich bin wieder in Venedig, sehr müde (Check-in: 5.30 Uhr) und sehr neugierig.

Alle zwei Jahre zieht die internationale Kunstgemeinde hier auf der Biennale di Venezia Bilanz. In diesem Sommer zum 57. Mal. „Viva Arte Viva“, „Es lebe die Kunst, sie lebe“, hat Christine Macel, die diesjährige Kuratorin, ihre Biennale genannt: mit Künstlern, von Künstlern und für Künstler. Etwas ausführlicher heißt das bei ihr: „Kunst legt heute (…) Zeugnis vom wertvollsten Anteil dessen ab, was uns menschlich macht. Kunst bietet den ultimativen Austragungsort für Reflexionen, individuellen Ausdruck, Freiheit und zugleich für grundsätzliche Fragestellungen. (…) Mehr denn je erscheinen die Rolle, die Mitsprache und die Verantwortlichkeit der Künstlerinnen und Künstler im Zusammenhang zeitgenössischer Debatten als entscheidende Faktoren. Durch diese individuellen Einsätze gewinnt die Welt von morgen eine wenn auch sicherlich noch ungewisse Gestalt, für die Künstlerinnen und Künstler oft ein besseres Gespür bewiesen haben als andere.“ Wenn wir also etwas über unsere Zeit und über das, was daraus werden kann, erfahren wollen, ist Venedig zurzeit der richtige Ort. In diesem Jahr sind zur Hauptausstellung 120 Künstler aus 51 Ländern eingeladen, fast ein Dutzend lebt in Berlin. 103 der Teilnehmer sind zum ersten Mal dabei. Christine Macel hat sich nicht auf die bekannten, etablierten Künstler verlassen, sondern mehrheitlich neue Positionen gefunden.

Mich zieht es zuerst in den Hauptpavillon. Dort sehe ich Schwarz-Weiß-Fotos, die den Künstler Mladen Stilinovi? beim Mittagsschlaf zeigen. Sehr sympathisch. Träumen ist künstlerische Arbeit. Ihm folgt die hyperaktive Künstlerin Dawn Kasper, die ihr Atelier auf die Biennale verlegt und sich nun sieben Monate bei ihrem Schaffen beobachten lässt. So etwas hat es zwar schon vorher gegeben, aber ich verstehe: Kunst ist auch intensive Arbeit. Im dritten Raum bastelt Olafur Eliasson mit Flüchtlingen und Besuchern Lampen. Ziemlich totalitär, wenn die Flüchtlinge nur seinen Bauplan nachbasteln sollen. Aber die Botschaft ist klar: Kunst kann auch ein Gemeinschaftsprojekt sein.

Träumen, arbeiten und das auch gemeinsam

sind also für Christine Macel die zentralen künstlerischen Strategien, um die es ihr geht. So einfach ist das. Sehr ähnlich zu den Verfahren bei anderen kreativen Prozessen, auch in der Architektur oder der Immobilienwirtschaft. Da heißt es dann Visionen entwickeln, hart und kreativ arbeiten, am besten zusammen mit Planern, Betroffenen und öffentlichen Institutionen. Eigentlich banal, aber so kann man ja mal anfangen. In der milden Nachmittagssonne wird der Deutsche Pavillon von Sigmar Gabriel eröffnet. Die grandiose Kuratorin Susanne Pfeffer hat die Künstlerin Anne Imhof ausgewählt. Sie stellt einen Mies-van-der-Rohe-Glaspavillon und zwei Zwinger mit Dobermännern vor das an den Faschismus erinnernde Gebäude. Ein Glasboden durchzieht das Haus im Inneren. Darsteller bewegen sich ziemlich autistisch zu dröhnenden Klangkompositionen durch die handyblitzenden Zuschauer, kriechen unter dem Glasboden, hängen an Gurten von der Wand, balancieren auf dem Dach. Sex, Gewalt, Macht, Aggression, alles dabei.

Die Arbeit ist vielfältig interpretierbar und verbindet Malerei, Musik, Theater und Architektur miteinander. Diese Art von Gesamtkunstwerk begeistert mich. Wenn auch von einer Künstlerin kühl und kontrolliert umgesetzt, in deren Welt ich nicht leben möchte. Als „kraftvolles und verstörendes“ Werk beschreibt es später die Jury und zeichnet den Pavillon mit dem Goldenen Löwen als besten aus.

Sigmar Gabriel sagt bei der Eröffnung vorsichtig, die Arbeit leuchte „gesellschaftliche Räume, ihre Kraft- und Machtzentren“ aus. Es wird deutlich, dass es für ihn als Politiker wie für viele andere nicht einfach ist, zeitgenössische Kunst zu verstehen, das Gesehene zu interpretieren und für sich als Inspiration zu nutzen. Auch die Immobilienwirtschaft ist an der wichtigsten Kunstausstellung der Welt kaum interessiert. Ich sehe keine Architekten, keine Makler, keine Projektentwickler und keine Immobilien -investoren in den Giardini oder im Arsenale.

Am Abend treffe ich die Geschäftsleitung des dänischen Unternehmens Kvadrat. Ihre Stoffe gehören weltweit zu den besten. Das Unternehmen hat einen Riesenruf, will immer noch besser werden. Alle Mitarbeiter sind angehalten, mindestens zweimal im Jahr eine Ausstellung anzuschauen. Sich mit ungewöhnlichen Perspektiven und Formen zu beschäftigen, Fragen zu stellen, den Blick auf das Andere und Fremde zu richten, Widersprüchliches auszuhalten und nach Antworten zu suchen, beweglicher zu werden. Das gefällt mir! Ein wundervolles Gesamtkunstwerk befindet sich zurzeit außerhalb der Biennale neben der Rialtobrücke in der Fondazione Prada. Thomas Demand als Künstler und Alexander Kluge als Filmemacher zeigen ihre Arbeiten in recycelten Bühnenbildern der Theaterszenografin Anne Viebrock. Die drei wurden von dem Kurator Udo Kittelmann zu „The Boat is Leaking. The Captain Lied“ zusammengebracht. Jeder der Künstler könnte einzeln stehen und doch ergänzen sich alle zu einer besseren, großartigen Ausstellung. Gerade weil eben nicht nur die Fotografien von Thomas Demand an einer möglichst neutralen Wand hängen oder die Filme von Alexander Kluge in einem verdunkelten Vorführraum laufen, sondern weil diese Arbeiten durch die Bühnenbilder von Anna Viebrock zu einem viel größeren Ganzen verbunden werden. Diese Arbeit macht mich glücklich. Sie verkörpert genau mein Ideal. Von dieser Arbeit könnte die Immobilienbranche lernen.

Als Student

begeisterte ich mich für barocke Architektur. Zu der Zeit haben Architekten, Bildhauer, Maler und Stuckateure an einem großen Ganzen zusammen gearbeitet. Dabei kamen Gesamtkunstwerke heraus, die ihresgleichen suchen. Auch das Bauhaus hat die Zusammenarbeit von Malern, Bildhauern und Architekten gelehrt. Doch heute droht sogar das Wissen voneinander verloren zu gehen. Die Tätigkeitsbereiche driften immer weiter auseinander. Wie viele Architekten beschäftigen sich heute mit bildender Kunst oder wie viele Künstler mit Architektur? Wie viele Projektentwickler sind beim Gallery Weekend in Berlin unterwegs? Welcher Makler ist schon in der Julia Stoschek Collection in der Leipziger Straße in Berlin gewesen? Wer geht ab und zu in die KW – Institut für Contemporary Art in der Auguststraße?

Kunst kann mit ihrer enormen Sensibilität und Intellektualität den eigenen Blick auf die Welt erweitern. Sich offen halten für fremde Anliegen, Lust haben, sich mit den Themen Anderer auseinanderzusetzen, hält wach und neugierig. Ich liebe den künstlerischen Blick auf die Welt und bin mir sicher, dass eine stärkere Verbindung zwischen Kunst, Architektur und der Immobilienwirtschaft zu besseren Häusern, Quartieren und Städten führen wird.