Rudern für die Baukultur

Rudern für die Baukultur

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 12/16-01/17

Die Baukultur muss uns in Deutschland deutlich mehr Wert sein. Der „Stiftung Baukultur“ fehlt es dazu jedoch im Moment an Macht und Mitteln. Das Team ist zu klein, um proaktiv vorgehen zu können.

Die Stadtautobahn in Berlin ist an der Anschlussstelle Kaiserdamm/Messedamm wegen dringender Reparaturmaßnahmen gesperrt. Im Radio werde ich aufgefordert, die Stelle weiträumig zu umfahren. Anschliessend stauen wir uns vorbei an sorgfältig aneinandergereihten Gründerzeitvillen und durch den wohlgeordneten, herbstlichen Grunewald. Alles, was wir auf dem Weg ausführlich betrachten können, die Straßen, die Straßenbäume, die Villen, die Plattenbauten, die Garagen, die Tankstellen und Brücken, ja, auch der Grunewald selbst, ist bis ins Detail geplant, verhandelt, durch Baurecht legitimiert und bebaut. Alles, wirklich alles um uns herum ist Ausdruck und Ergebnis unserer eigenen Baukultur und der Baukultur der beteiligten Generationen vor uns.

Kürzlich habe ich bei der Institution vorbeigeschaut, die die Aufgabe hat, das Verständnis für Baukultur zu fördern. Die Schiffbauergasse in Potsdam endet für mich nicht wie erwartet am Wasser, sondern in einem Parkhaus. Die Bundesstiftung Baukultur finde ich an diesem kalten, neblig trüben Vormittag wohl eingebettet in einem Kulturquartier mit Fluxus Museum und ehemaliger Reithalle, heute die Fabrik genannt. Gut gemacht. Vor fast zehn Jahren war ich schon einmal hier, zum Gründungskonvent der Stiftung für Baukultur im benachbarten Hans Otto Theater von Gottfried Böhm.

Damals war ich überrascht, dass nach jahrelang und aufwändig geführten Diskussionen, Kampagnen und Initiativen unter Beteiligung der Bundesarchitekten- und -ingenieurkammern, zahlreicher Berufsverbände, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, dem Deutschen Architekturmuseum, der Stiftung Bauhaus, dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, der Bauministerkonferenz der Länder, dem Deutschen Städtetag, diversen Unternehmensverbänden und hunderten von zum Teil brillanten, begeisterten Fachleuten plötzlich wieder mehrheitlich die üblichen Politiker auf den Wahllisten zum Stiftungsrat standen.

Doch der Anfang war geschafft

Baukultur sollte in Deutschland eine Stimme bekommen. Aber wird sie auch gehört? Wie geht es der Stiftung heute?

Bevor mir farbige Fähnchen den Weg vorbei an dem Gebäude der Stiftung in die Arena weisen, nehme ich im Vorbeigehen das wohlgestaltete Klingeltableau wahr: flächenbündig. Vier Inbus Hutmuttern an den Ecken zeugen bei allem architektonischen Anspruch von praktischem Kostenbewusstsein und, ja, auch das, von Baukultur bis ins Detail. Die Bundesstiftung hat zum Konvent 2016 geladen. Angekündigt wird eine öffentliche Standortbestimmung zur Lage der Baukultur in Deutschland.

Reiner Nagel ist Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung. Ein Glücksfall für die Institution. Seitdem der Architekt und Stadtplaner 2013 berufen wurde, hat die Sache Fahrt aufgenommen. So legt sie alle zwei Jahre fundierte Baukulturberichte vor. Sie gelten als offizieller Statusbericht zum Planen und Bauen in Deutschland, werden im Bundestag debattiert, im Ausschuss diskutiert und als Handlungsempfehlung für die Bundesregierung beschlossen. Aber von einer konkreten Umsetzung der klugen Ideen habe ich noch nichts gehört.

Am ersten Konventtag geht es im „Basislager der Baukultur“ unter anderem um den Klimawandel, um technologische Erneuerungen, die Digitalisierung ländlicher Räume, die Vermittlung von gutem Bauen, um Holzbau, das Studium und um die 128 Gestaltungsbeiräte, die es mittlerweile in Deutschland gibt. Aber das Basislager ist kein friedlicher Ort. Die Schauplätze der Auseinandersetzungen sind vielfältig.

Und jeder Akteur will auf seine spezifische Weise mitreden

und angesprochen werden. Für eine kleine Kommunikationsstiftung mit Riesenthema eine nahezu unlösbare Aufgabe. Die Stiftung hat endlos viele Zielgruppen. Riesenklüfte tun sich auf zum Beispiel zwischen Öffentlichkeit und Fachleuten. Auch unterscheiden sich private Bauherren stark von öffentlichen Bauherren. Schon die Immobilienwirtschaft besteht mit Architekten, Ingenieuren, Maklern, Entwicklern, Rechtsanwälten und Investoren bereits aus sehr unterschiedlichen Gruppen. Auch die Bauwirtschaft, die Wohnungsbaugesellschaften, das Bauhandwerk, die Politik, die Baukulturinitiativen und die Nutzer sprechen unterschiedliche Sprachen, haben zumeist sehr unterschiedliche Sichtweisen, Standpunkte und Ziele.

Roland Gruber berichtet von der Front. Er ist Vorsitzender von „LandLuft“, ein „Verein zur Förderung von Baukultur in ländlichen Räumen“. Er geht also da hin, wo sonst keiner ist. Er hat bei öffentlichen Beteiligungsveranstaltungen die Erfahrung gemacht, dass „Baukultur“ als Begriff nicht verstanden wird. Zu distanziert, abstrakt und elitär. Beteiligungskultur muss aber Spaß machen, Signalwörter zum wegzappen, wie „Kultur“ oder gar „Baukultur“ sind in der Öffentlichkeit für ihn als Begriffe „verboten“. Roland Gruber fährt schon mal mit einem neugewählten Gemeinderat im Bus auf Bestpractice-Besichtigungstour. Nach drei Tagen fraktionsübergreifendem Staunen und Debattieren über die guten Lösungen in der Fremde wollen alle zuhause gemeinsam die Wende packen und ihre Gemeinde zukunftsfit machen.

Auch in der Immobilienwirtschaft ist der Begriff „Baukultur“ kein Triggerpoint. Auf dem gerade abgehaltenen ZIA Innovation Day im Gasometer von Günther Jauch in Berlin geht es um die digitale Transformation im eigenen Unternehmen, die Zusammenarbeit mit PropTech-Startups, um Building Information Modelling, Robotic Process Automation und weitere aktuelle Trends. Aber das Wort „Baukultur“ kam über zwei Tage kein einziges Mal vor.

Die einzelnen Akteure

sind immer noch nicht ausreichend vernetzt. Vorurteile, Ressentiments und Unkenntnis sind die Hürden, die es zu überwinden gilt. Hier versucht die Bundesstiftung anzusetzen. Sie ist auf allen Bühnen anwesend, auch auf der Mipim. Auf der Expo Real sogar mit eigenem Stand. Überall geht es um freundliche Gesprächsangebote. Gesprächsangebote zumeist an Fremde. Nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung behaupten in Umfragen, die Stiftung Baukultur zu kennen. Auch wenn die Allermeisten den Grunewald, die Villenvororte und die Innenstädte zu schätzen wissen, heißt das noch lange nicht, dass sie verstehen, was zu ihrem Erhalt und Ausbau getan werden muss.

Aber als Stiftung ohne substantielles Stiftungskapital ist sie auf eine Finanzierung aus den Haushalten der Bundesregierung angewiesen. Das sind zur Zeit 1,4 Millionen Euro im Jahr. Gerade einmal sieben Stellen und etwas Programm lassen sich damit finanzieren. Enorm, was das kleine Team bewegt. Aber angesichts der 2,6 Millionen Beschäftigten des Planens und Bauens für 82 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, die pro Jahr über 3oo Milliarden Euro verbauen, ist das vergleichbar mit einem Ruderboot auf dem Ozean. Die Stiftung ist zu klein, um proaktiv vorgehen zu können. Um unaufgefordert an die Städte und Gemeinden herantreten zu können und um sie aktiv in Fragen der Baukultur zu beraten, braucht die Stiftung ein Team von mindestens 50 Personen. Auch könnte eine finanziell unabhängigere Institution deutlich mehr Wirkung in den politischen Komplex hinein entwickeln und strukturelle Themen angehen. Um nicht unterzugehen, muss die Stiftung gehört werden. Doch dazu fehlt es ihr zur Zeit an Macht und Mitteln. Baukultur muss uns in Deutschland deutlich mehr Wert sein.