Wir befinden uns im Übergang in eine digitale Welt. Das wird alles verändern - wie wir leben, arbeiten, bauen und entscheiden. Sich dem zu verweigern, funktioniert in einer hochvernetzten Gesellschaft wie unserer nicht. Wir müssen erproben und herausfinden, welche Innovationen die Lebendigkeit und Kreativität, die Vielfalt und den Reichtum unterschiedlicher Lebensvorstellungen unterstützen und welche dagegen arbeiten.
Auf meiner Reise durch die Welt der Architektur stehe ich immer wieder staunend vor den Ereignissen und frage mich, warum das eigentlich so geschieht, wie es geschieht und wie es besser sein könnte. Da diskutiere ich in der Jury für den ZIA Innovationsbericht einen ganzen Tag lang lauter Projekte, die unsere Städte vielleicht besser machen. Dazu zählen so unterschiedliche Vorstellungen wie eine autarke Siedlung mit einem kalten Nahwärmenetz, ein Trackingsystem von Passantenbewegungen für den Einzelhandel oder ein KI gestütztes System zur Einlesung von Due-Diligence-Dokumenten. Beim anschließenden Immobilien Award 2018 freue ich mich in Köln über die Auszeichnung für das Studentenwohnheim Woodie in Holzmodulbauweise von Sauerbruch Hutton Architects und Achim Nagel. So kann die Stadt der Zukunft auch aussehen. Beim Tischgespräch wundert sich Tobias Becker von SAP, dass für mich als Architekt, bereits die bessere Anschaulichkeit der 3D-Planung den zusätzlichen Aufwand rechtfertigt. Er ist ausschließlich an den Daten des fertigen Gebäudes interessiert. Denn erst darin stecken für ihn die neuen Geschäftsmodelle. In der Smart City sind die Daten des digitalen Twins mitunter wichtiger, als die realen Häuser. Und auf der mipim in Cannes freut sich Prof. Dr. Merk darüber, dass München die Erstellung einer eigenen Smart City Strategie beschlossen hat. Ein erster Schritt voran. Zeitgleich wird dort eine Auswahl vielversprechender französischer Smart City Projekte vorgestellt. Diese Einzelereignisse haben eines gemeinsam: sie alle sind Bausteine der digitale Stadt.
Aber wo stehen die europäischen und deutschen Institutionen in der Digitalisierung? Was kann die Immobilienwirtschaft zu dem Kopfsprung in die digitale Welt beitragen und wie verändert das die Architektur der Städte?
Um es gleich vorweg zu nehmen: die Länder tun sich schwer. Zwar hat die Bundesrepublik jetzt mit Dorothee Bär („Instalover, Mama, Politikerin, Gamerin, Jägerin, Fränkin, Bayerin, Teilzeit-Berlinerin, süchtig nach intelligenten Menschen & ganz viel pink“) eine Staatsministerin für Digitales. Leider aber ohne eigenen Stab, ohne eigenes Budget und damit auch ohne Einfluss. Die digitale Infrastruktur und der Breitbandausbau fallen auch in den Bereich des Verkehrsministers Andreas Scheuer. Es ist klar, dass da sehr unterschiedliche Vorstellungen miteinander rivalisieren werden.Auch die Kommunen tun sich schwer. In internationalen Digitalisierungsstudien tauchen deutsche Städte nicht in der Spitzengruppe auf. Auch nicht im Mittelfeld.
Auch der Berliner Senat wurde kurzzeitig von einem Digitalisierungsenthusiasmus ergriffen und beschloss 2015 eine Smart City Strategie. Nicht besonders detailliert, eher ein skizzenhafter erster Zusammenschrieb von allem, was da so reinpassen könnte. Im darauffolgenden Jahr sollte dann ein Plan zur Umsetzung mit Zeiträumen, Zuständigkeiten und Partnern nachgeliefert werden. Doch mit den Abgeordnetenhauswahlen kam es zum Koalitionswechsel und damit zum Ende des Umsetzungsplans. Anschließend entzog man der Stadtentwicklungsverwaltung (Kompetenzstreitigkeiten mit der Wirtschaftsverwaltung) die Verantwortung. Jetzt ruht die Zukunft der Smart City Berlin in der Senatskanzlei beim Regierenden Bürgermeister. Die Zuständigkeiten sind „nicht so klar definiert“ und verteilen sich auf drei verschiedene Ressorts. Ein Beteiligungsprozess mit Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Zivilgesellschaft ist nicht geplant. Mittlerweile ist das Papier auch veraltet und müsste neu geschrieben werden. Es hielt einem internationalen Vergleich ohnehin nicht stand, blieb schon 2016 in der Smart City Studie über 87 Städte von Roland Berger freundlicherweise unerwähnt („in der hinteren Hälfte des Feldes“).Mit einem Mikrobudget, ohne klare Zuständigkeiten und Schlagkraft ist auch kaum mehr zu erwarten. Düsseldorf hat es gerade vorgemacht und einen CDO, einen Chief Digital Officer eingesetzt. Wie Wien, Chicago, Singapur u. v. a. eine solche Position könnte auch in Berlin die diversen Ressorts unter einem Dach zusammenbringen, koordinieren und gegebenenfalls auch durchgreifen. Doch wie so häufig in dieser Ankündigungsweltmeisterstadt fehlt es leider an ... so Vielem.
Nur reden reicht eben nicht. Das ist umso bedauerlicher, wenn man sich die Voraussetzungen dieser unfertigen Kreativmetropole anschaut. Berlin bietet mit den vielen Forschungseinrichtungen, innovativen Informations- und Kommunikationstechnik Unternehmen und der lebendigen Tech-Start-up-Szene einen fruchtbaren Nährboden für eine Smart City. Jährlich 45.000 zusätzliche Einwohner, 13 Millionen Besucher, immer mehr internationale Studenten, 40.000 Unternehmensgründungen, in keine andere Europäische Stadt fließt mehr Venture Capital. Diese Potentiale einer Smart City Berlin zu heben und kluge, vernetzte Lösungen in der Verwaltung, im Verkehr, der Infrastruktur, in Energie- und Mobilitätsfragen, bei öffentlichen Bauten, im Bildungs- und Gesundheitswesen zu entwickeln, ist auch in Berlin, dieser Stadt am Rande der Tragödie, nicht unmöglich.
Die Landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften investieren z.Z. Milliarden in neue Quartiere. Auch aus dem Sondervermögen „Infrastruktur der Wachsenden Stadt“ stehen für Schulen, Kitas, Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser und Schwimmbäder ebenfalls Millionen bereit. Von smarten Investitionen redet hier aber keiner. Warum können diese Projekte nicht gleich zukunftsfähig ausgerichtet werden? Was wäre, wenn Berlin neue Vorzeigequartiere planen und verwirklichen würde? Wenn die Kommune mit Bürgern und Unternehmen im Dialog smarte Modellvorhaben starten würde, Maßnahmenpakete schnüren und dabei Wirtschaft, Start-ups, BVG, BSR, Versorger sowie Bürger („Wie werden wir smart?“) einbinden würde? Smart City Pilot Quartiere könnten leicht durch experimentierfreudigere Bebauungspläne unterstützt werden. Berlin hat Europas modernste Verkehrsinfozentrale, ist eine Leitregion für Elektromobilität und Hauptstadt des Carsharing (vielen Dank, Bundesrepublik). In diesen Modellquartieren könnten z. B. autonomes Fahren im Stadtraum und Parkplatzbelegungserkennung erprobt und weiterentwickelt werden. Die städtischen Wohnungsunternehmen könnten Vorreiter für Smart-Home-Lösungen sein und dabei mit Technikanbietern, Gesundheitsdienstleistern und Ärzten zusammenarbeiten. In einem Smart Health Modellquartier könnten Telemedizinische Anwendungen in der Praxis erprobt und weiterentwickelt werden.
Ich mache mir Sorgen. Weil all das nicht geschieht. Wir befinden uns im Übergang in eine andere, eine digitale Welt. Das wird alles verändern. Wie wir leben, arbeiten, bauen, uns abstimmen, und entscheiden wird sich von unten nach oben wenden. Sich dem zu verweigern, die Veränderungen zu ignorieren, funktioniert für eine bereits so vernetzte Gesellschaft nicht. Wir müssen lernen, müssen überprüfen, erproben und herausfinden, welche Innovationen die Lebendigkeit und Kreativität, die Vielfalt und den Reichtum unterschiedlicher Lebensvorstellungen unterstützen und welche dagegen arbeiten.