Aus meiner Agenda für strategische Stadtentwicklung: dichter bauen, höher, Quartiere qualifizieren, effektiver mit Bestandsflächen umgehen, Grundstücksspekulation unterbinden, Vorkaufsrecht ausüben...
Wer kennt dieses bange Gefühl bei der Wohnungssuche nicht? Besonders, wenn die Finanzen knapp sind. Wie glücklich war ich als Student in einem ehemaligen Kinderkrankenhaus in Stuttgart unterzukommen (Intensivstation, Sauerstoff Anschlüsse inklusive), oder im Maison du Brésil in der Cité Universitaire in Paris (direkt an der Stadtautobahn) und ein paar Jahre später in einer Sozialwohnung in Brixton, London (gegenüber der Feuerwehrstation). An allen drei Orten stand für meine Vermieter der soziale Aspekt im Vordergrund. Immer handelte es sich um preisgedämpftes Wohnen ohne eine Gewinnerwartung meiner Vermieter.
Auch in Deutschland gibt es eine lange Tradition des Sozialen Wohnungsbaus.
Einige berühmte Beispiele wie die Hufeisensiedlung von Bruno Taut sind heute Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Von der Internationalen Bauausstellung im Hansaviertel 1957, über die modernen Großsiedlungen Märkisches Viertel und Gropiusstadt bis zur Internationalen Bauausstellung 1987 („Behutsame Stadterneuerung“) wurden in allen Jahrzehnten Wohnbauten für Bedürftige realisiert.
Irgendwann, in den 90er Jahren starb dann aber der soziale Wohnungsbau in Deutschland. Im Windschatten der Reagonomics und der weltweiten Begeisterung für die Liberalisierung der Märkte wurden die öffentlichen Institutionen zum Gegenbild der freien Wirtschaft erklärt und der Traum vom schlanken Staat und den sich selbst regulierenden Märkten, die auf wundersame Weise Angebot und Nachfrage immer wieder ins Gleichgewicht pendeln, wurde selbst von linken Parteien geträumt. Wie dem Rattenfänger von Hameln folgten viele den Klängen der Chicago School of Economics.
In Berlin hatte die staatliche Förderung des privaten Wohnungsbaus mittlerweile auch ein stumpfsinniges System aus korrupten Baufirmen und Fondsmanagern herausgebildet, das gerade mal eine Kostenmiete von 18 Euro/m² schaffte.
Die Mieten waren ohnehin schon so niedrig, dass damit kein Geld zu verdienen war. Über Jahre war Wohnen kein Thema für die Immobilienwirtschaft. Die demographischen Prognosen gingen noch 2008 von schrumpfenden Städten aus. Die öffentlichen Haushalte waren überschuldet. Alle mussten den Gürtel enger schnallen.
Deshalb wurde in den 1990er Jahren die Förderung immer weiter reduziert, bis der Berliner Senat den sozialen Wohnungsbau 2002 gänzlich einstellte.
Zu diesem Zeitpunkt lagen die durchschnittlichen Mieten unter 5 Euro/m² und es gab über 100.000 leerstehende Wohnungen. Damals konnte sich keiner vorstellen, dass es einmal zu einem Mangel an einfachen Wohnungen kommt.
Deshalb veräußerte der Berliner Senat seit dem Mauerfall mit seinen Wohnungsbaugesellschaften auch mehr als 310.000 Wohnungen. Über die Hälfte der ehemals 585.000 kommunalen Wohnungen.
Städte wie Dresden machten sich schuldenfrei, mussten dafür aber ihren gesamten Wohnungsbestand zu Tiefstpreisen verschleudern.
Aus den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, die nicht verkauft werden konnten, wurden Wohnungsverwaltungsgesellschaften. Wohnungsbau war nicht mehr Aufgabe des Staates.
Freier Markt, bitte übernimm. Du machst es besser. Das war die Hoffnung.
Ein kolossaler Irrtum. Denn es kam ganz anders. Für die meisten überraschend. Zunächst freuten sich alle noch ungläubig über den Zuzug in die Städte. („Vermutlich nur ein Strohfeuer. Bald schrumpfen wir wieder.“) Dann begannen die Mieten zu steigen. („Kein Grund zur Panik! Für Mieten über 10 Euro/m² kann ja wieder gebaut werden.“)
Die zumeist ausländischen Kapitalgesellschaften, die die ehemals sozialen Wohnungsbaugesellschaften gekauft hatten, optimierten ihre Rendite. Dann entnahmen viele ihren Gewinn, indem sie weiterverkauften und die neuen Eigentümer steigerten erneut ihre Rendite. Im Wesentlichen mit Billigsanierungen, unzureichenden Instandsetzungen und Mieterhöhungen.
Zugleich fielen deutschlandweit jährlich 100.000 Wohnungen aus der Sozialbindung. Die Zahl der Sozialwohnungen sank laut Mieterbund von 4 Millionen Ende der 80er auf heute 1,4 Millionen.
Mit den steigenden Preisen kam zunächst der „hochwertige“ Eigentumswohnungsbau in Gang. Die Kombination von möglichst geringem Standard und möglichst hohem Verkaufspreis („Erbengeneration“) führte zu hohen Renditen.
Dadurch erschienen Versicherungen und Pensionskassen wieder auf dem Markt und ermöglichten die ersten, zaghaften Mietwohnungsneubauten.
Jeder optimierte seine Gewinne, teure Mieten wurden von noch teureren Mieten übertroffen, andere zogen nach und die Mieten schossen in die Höhe.
Auch heute noch übersteigt in den Städten die Nachfrage der Zuzügler bei weitem das Angebot. Der freie Markt kümmert sich um die renditeträchtigen, möglichst hochpreisigen Marktsegmente. Da ist es wie in der Autoindustrie: je teurer der Wagen, desto höher der Gewinn.
Aber wer ist für die breite Bevölkerung da und für die, die sich auf dem Markt nicht selbst versorgen können. Wer hilft den Jungen, den Alleinerziehenden, den Alten, den größeren Familien, den ganz normalen Bürgern, die sich die hohen Mieten nicht mehr leisten können?
In der Vergangenheit wurden etwa ein Drittel sozial gebundene Wohnungen als Voraussetzung für eine ausgleichende Wohnungspolitik angesehen. Davon sind die Städte heute weit entfernt.
In den Großstädten von über 200.000 Einwohnern beträgt der kommunale Anteil gerade noch 8 %.
Jetzt sollen es die noch verbliebenen Wohnungsbaugesellschaften wieder richten.
Die bekommen die verbliebenen kommunalen Grundstücke übertragen und sollen darauf bauen, dass es nur so kracht.
Bis 2026 soll in Berlin der Bestand der landeseigenen Gesellschaften von z. Z. 300.000 auf 400.000 Wohnungen anwachsen. Dafür investieren die sechs landeseigenen Gesellschaften insgesamt 11,5 Milliarden Euro. Nur noch mal, weil es so weh tut, ein Beispiel von vielen: 2004 verkaufte Berlin die GSW mit einem Bestand von 65.000 Wohnungen an ein internationales Konsortium zum Preis von 405 Millionen Euro. Das sind keine 6300 Euro pro Wohnung!
Aber auch das reicht in Berlin bei 60.000 zusätzlichen Bewohnern im Jahr alleine nicht aus.
Für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft sieht meine Agenda für eine strategische Stadtentwicklung wie folgt aus:
Stärkung der öffentlichen Institutionen, Aufstellung neuer Stadtentwicklungspläne, Anpassung der bestehenden Flächennutzungspläne, generell dichter und höher bauen, Qualifizierung der bestehenden städtischen Quartiere, Grundregeln für die Partizipation in der Stadtentwicklung vereinbaren, effektiver mit den Bestandsflächen umgehen, Wohnen und Arbeiten im Gleichgewicht entwickeln, Grundstücksspekulationen unterbinden, Modelle zur kooperativen Baulandentwicklung etablieren, Vorkaufsrecht, wo sinnvoll, zügig ausüben und, vor allem, weitere innerstädtische Flächen als zusätzliches Bauland für durchmischte Quartiere ausweisen.
Die meisten Städte müssen aber auch nach außen wachsen. Neue, dichte Quartiere an den Stadträndern müssen geplant und erschlossen werden.
Voraussetzung dafür ist eine enge Stadt-Umland-Kooperation in der Siedlungs- und Verkehrsplanung. Viele Gemeinden sperren sich aber gegen eine stärkere Verdichtung auf ihrem Gebiet. Da müssen überregionale Institutionen mit veränderten Kompetenzen für Konsens sorgen.
Stadtplanung ist ein Marathonlauf und eine Gemeinschaftsaufgabe. Es erfordert visionäres Handeln. Zickzackkurse führen in den Graben.
Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Eine Gesellschaft die das nicht angemessen bietet, hat ihre Aufgabe verfehlt.