Von Berlin 2.0 und Wohnen-2-go

Von Berlin 2.0 und Wohnen-2-go

Kolumne von Eike Becker, "Immobilienwirtschaft" 08/2014

Manchmal braucht die Stadt den Blick von außen zur Erleuchtung. Berlin wächst erst seit drei Jahren. Nicht Quantität, Qualität ist heute die Herausforderung. Wann ist Wohnraum „angemessen“?

Am Brandenburger Tor hat die Fanmeile wieder geöffnet. 2006 konnten die Berliner ihr Glück kaum fassen. Nach Berlin strömten so viele Touristen wie nie zuvor. Und die nahmen ein begeistertes Bild von der Stadt und ihren Bewohnern mit nach Hause. In vielen Zeitungsartikeln, die darauf folgten, wurde eine Stadt erklärt, die etwas widerspiegelte, was viele hier zwar im Täglichen erlebten, aber nicht richtig gelten lassen konnten. Eine offene Stadt mit gut gelaunten freundlichen Bürgern. 2006 war ein Wendepunkt in der medialen Wahrnehmung von Deutschland und besonders auch von Berlin. Bis dahin war Berlin im Wesentlichen leer, arm und bestenfalls im Umbruch begriffen – manche nannten das auch sexy. Nach 17 Jahren Wendeversprechen drohte der Stadt und ihren Menschen die Puste für weitere Anstrengungen auszugehen.

Auf Identitätssuche

Erst der Blick von außen erleuchtete den Berlinern ihre eigene Situation. Sie lebten in einer unfertigen Gesellschaft, die sich seit der Wende in ihrer Zusammensetzung stark verändert hat. Kaum einer in der Stadt kann sich noch an die Zeit der Mauer erinnern. Die Meisten sind danach hierhergezogen. Viele sind immer noch auf der Suche nach ihrem Freundeskreis, dem richtigen Ort zum Wohnen und möglicherweise auch zum Arbeiten. Das überträgt sich auf die Ausrichtung der urbanen Gesellschaft. Das Ungenügen an den tatsächlichen Verhältnissen führt zu kontinuierlichen Veränderungen, zum Ausprobieren von Alternativen, Weiterentwicklungen und Gegenentwürfen. Auf der von Aaron Betsky kuratierten Architektur-Biennale in Venedig untersuchte er 2008 das Wachstum der weltweit großen Städte. Auch Berlin war dabei. Doch die Studie wies für diese Stadt als einzige ein Schrumpfen aus. Heute sieht die Realität anders aus. Seit drei Jahren wächst Berlin jährlich um etwa 45.000 Einwohner. Im Wesentlichen kommen junge, gut ausgebildete Menschen. Sie kommen vorrangig aus dem Brandenburger Umland und anderen Bundesländern, aber auch aus Süd- und Osteuropa sowie aus Asien. Daraus resultieren deutliche Steigerungen der Mieten und der Kaufpreise für Wohnungen. Diese Entwicklung ist in allen Ballungsräumen gleich.

Reaktionsschwierigkeiten

Der Wandel kam so überraschend, dass auch die Politik Schwierigkeiten hat, darauf zu reagieren. Nach Jahren, in denen kaum Wohnungen gebaut wurden, hat sich die Situation völlig verändert. Bis 2005 wurden im Jahresdurchschnitt noch für 3.000 bis 4.000 Wohnungen Baugenehmigungen ausgesprochen. Im vergangenen Jahr wurden für über 12.000 Wohnungen Baugenehmigungen erteilt. Der Bau für Eigentumswohnungen boomt, und zum ersten Mal seit Anfang der 90er Jahre werden auch Mietwohnungen in größerer Zahl errichtet. Doch der Blick auf andere Regionen macht wenig Mut. Schaut man etwa nach London, schockieren die Miet- und Kaufpreise. Die Durchschnittsmiete für ein 1-Zimmer-Apartment im Zen-trum betrug laut der staatlichen Stelle zur Liegenschaftsbewertung 1.368 Pfund (1.710 Euro) pro Monat. Auch in Hamburg und München werden sehr hohe Miet- und Kaufniveaus erreicht. Bezahl-bare Wohnungen werden knapp.

Ende der durchmischten Stadt?

Ist das das Ende der durchmischten Stadt? Ist die integrative, pluralistische Gesellschaft durch diese Entwicklung in Gefahr? Politik, Verwaltung und die Immobilienwirtschaft suchen für die deutschen Großstädte nach lokalen Lösungen. Leider zu langsam, zu vereinzelt und zu erfolglos. Bereits Anfang der 90er Jahr begann München dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Mit dem „Münchener Modell aus der Sozialgerechten Bodennutzung“ wurde den Projektentwicklern mit der Baugenehmigung auf 30 Prozent der Flächen der Bau von Sozialwohnungen auferlegt. Doch gerade in München haben sich durch den knappen Grundstücksmarkt und den Sozialanteil die frei finanzierten Wohnungen besonders stark verteuert. In Hamburg vereinbarten Senat und Bezirke, jährlich 6.000 Wohnungen zu bauen, davon 2.000 sozial gefördert. Köln hat den Wiedereinstieg in den sozialen Wohnungsbau, Stuttgart 2011 die SIM Wohnbauförderung beschlossen. Auch Berlin ist dabei, die rechtlichen Voraussetzungen zur Anwendung ähnlicher Mittel zu schaffen. In einem Masterplan werden zurzeit die städtebaulichen Entwicklungspotenziale identifiziert, die für Wohnungsbau infrage kommen. Das Land will Grundstücke zur Verfügung stellen, auf denen zu einem Drittel mietpreisgebundene Wohnungen gebaut werden. Städtebauliche Verträge sollen auch private Investoren zum Bau von Sozialwohnungen verpflichten.

Tempelhof: Rückschritt

Ein Rückschritt im Bemühen um zusätzlichen und sozialverträglichen Wohnraum stellt die Ablehnung jeder Bebauung des ehemaligen Tempelhofer Flughafens durch Volksentscheid dar. Hier waren bereits 4.500 Wohnungen fest eingeplant. Umso mehr wächst der Nachverdichtungsdruck auf die innerstädtischen Lagen. Doch in Wirklichkeit geht es heute nicht vornehmlich um quantitative Lösungen wie in den 50er Jahren zur Zeit der Flüchtlingsströme und Kriegszerstörungen. In den 70er Jahren entstanden so Hochhaussiedlungen wie in Berlin Gropiusstadt, die sich in soziale Ghettos verwandelten. Vielmehr stellt sich die Frage nach dem angemessenen Wohnraum heute mehr denn je. Die Städte sind in ihrer Lebendigkeit gebauter Ausdruck von gesellschaftlichen Zuständen. Gerade hier lässt sich eine fortschreitende Differenzierung und Individualisierung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen feststellen. Um passende Wohnungen für diese unterschiedlichen Gruppen errichten zu können und damit dauerhaft erfolgreich in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft zu sein, müssen unterschiedliche Bedürfnisse besser verstanden werden. Genau genommen geht es um nichts weniger als die Neubestimmung von dem, wie gelebt, gewohnt, gefahren und gearbeitet wird: Wohnen-2-go.

› Durchmischung: Wer heute Wohnungen bauen möchte, baut für sehr unterschiedliche Personen. Die durchmischte Stadt kann nur dann weiterhin bestehen, wenn unterschiedliche Bud-gets und gesellschaftliche Gruppen gemeinsam in den neuen Quartieren wohnen können. Wer verstehen möchte, was mit durchmischter Stadt gemeint ist, sollte sich in den Frühstücks-saal des Lloydhotels in Amsterdam setzen. Das Hotel bietet 1-, 2-, 3-, 4- und 5-Sterne Zimmer gleichzeitig an.

› Mobilität: Mit dem Wohnen verändert sich auch die Mobilität: Nur 29 Prozent der Berliner haben ein Auto. Das ist nach Ferdinand Dudenhöffer die geringste PKW-Dichte deutschland-weit. Wo der öffentliche Nahverkehr gut ausgebaut und Parken teuer ist, benutzen Viele auch das Fahrrad oder Carsharing-Angebote. Das Auto verliert seinen Status.

› Urban Gardening: Wer verstehen möchte, wie das Land- und Stadtleben miteinander verbunden werden kann, sollte sich am Moritzplatz in Berlin-Kreuzberg den Prinzessinnengarten anschauen. Oder den Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld.

› Mikroapartments: Ein Bewohner von Berlin hatte 1945 im Schnitt 25 m² und kann heute 45 m² Wohnfläche für sich in Anspruch nehmen. Kleinere Wohnungen verbrauchen aber weniger Ressourcen, sind günstiger in Erstellung und Miete. Gleichzeitig führen sie zu einer weiteren Belebung der Orte, wo Städter miteinander in Kontakt treten können.

Also, raus aus den Ghettos!