Eine neue Aufgabe für die Immobilienwirtschaft
In der großen Ausstellungshalle der Kunst-Werke in Berlin standen zwischen dem Publikum sechs offensichtlich gebrauchte, mannshohe Pappkartons.
Nach einiger Zeit der Beobachtung bewegten sich die Kartons kaum merklich. Hier oder da war Atmen oder ein leises Räuspern aus dem Inneren zu vernehmen.
„Sechs Menschen, die für das Sitzen in Pappkartons nicht bezahlt werden dürfen“ war der Titel der Arbeit von Santiago Sierra aus dem Jahr 2000.
Die sechs Menschen in den Kartons waren Asylbewerber.
Auch eine Generation später können Geflüchtete ihre Beschäftigung in Deutschland immer noch nicht frei wählen.
Gleichzeitig fehlen qualifizierte und unqualifizierte Arbeitskräfte, im IT Bereich, auf dem Bau, in der Gastronomie, eigentlich überall. Durch die demographische Entwicklung sind das 400.000 bis 1 Millionen Personen im Jahr.
Wie einhundertzwanzig andere Länder auf der Welt hat Deutschland eine zu niedrige Geburtenrate, um die Bevölkerung stabil zu halten.
Wenn also massiver Schaden durch Schrumpfung der Wirtschaftsleistung abgewendet werden soll, muss das über Zuwanderung gelöst werden.
Diese Bedarfssituation ist völlig unabhängig von den Ursachen der Migration. Ein großer Teil der Menschen, die nach Europa gelangen, wollen einfach ein besseres Leben. Ihre Integration gelingt nicht ohne bedeutende Anstrengungen. Erst nach 5-6 Jahren sind 50% der Migranten in den Arbeitsmarkt integriert. Von den etwa 4 Millionen Menschen, die Bürgergeld bekommen, haben 2,5 Millionen keinen deutschen Pass. Das kostet den Staat 40 Milliarden Euro pro Jahr.
Eine enorme Summe, die von vielen als Bürde, als Krise wahrgenommen wird. Und so trostlos sehen dann die MUFs, die Modularen Flüchtlingsunterkünfte, aus, die kaum ein Anwohner in seiner Nachbarschaft begrüßt.
Aber wie wäre es ohne die vielen Millionen Personen, die bereits nach Deutschland gekommen sind und hier arbeiten? Das wäre zum Beispiel für mein Büro das totale Desaster. Weil wir zur Zeit gerade etwa 15 unterschiedliche Herkünfte haben und eine völlig andere und kleinere Gruppe wären, wenn alle aus diesem Land kommen müssten. Und so wie bei uns sieht es in fast allen Branchen aus.
Deshalb führt an kontinuierlicher Einwanderung und Integration kein Weg vorbei.
Wie würde die denn aussehen, wenn wir nicht Getriebene wären, die immer nur das gezwungen Nötigste tun? Wenn wir diesen Prozess als eine rundherum richtige und wichtige Aufgabe ansehen würden? Auch als Chance, den alltäglichen und strukturellen Rassismus zu überwinden. Wenn Deutschland ein Willkommensland würde, dessen Bevölkerung sich über jeden freut und mit den Worten begrüßt: schön, dass du da bist, lass uns gemeinsam die Welt besser machen.
Was wäre, wenn jeder, der ins Land kommt, sofort anfangen könnte, mitzuhelfen und zu arbeiten, wie in Dänemark? Denn über die gemeinsame Arbeit sind Sprache, Anerkennung und Teilhabe viel leichter zu erreichen.
Was wäre, wenn Geflüchtete nicht in temporären, gesichtslosen Massenunterkünften zu Tausenden auf Rollfeldern von ehemaligen Flughäfen, sondern in dauerhaften und gemischten Quartieren wohnen könnten? Was wäre, wenn Migranten, Planer, Handwerker und Anwohner zusammenarbeiten würden, um diese Quartiere zu sanieren oder zu errichten? Was wäre, wenn die Standards in diesen Quartieren neu definiert würden und stärker Wert auf Orte der Begegnung, des Selbermachens und des Miteinanders gelegt würde? Und Gebäude als Eigenbauten zugelassen wären? Was wäre, wenn aus Flüchtlingslagern Willkommenstädte würden, Arrival Cities, wie sie Doug Saunders nennt.
Ja, es geht um ein Dach über dem Kopf. Aber auch um gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung. Für die, die ankommen. Aber auch für die, die schon da sind und keine Wohnung finden. Und die Kreativen, die keine Produktions- und Ausstellungsflächen finden. Am besten für alle und mit allen gemeinsam.
Mit ghettoartigen Provisorien wird das nichts. Deshalb müssen die Strukturen aufgebaut werden, die aus Versprechen Wirklichkeit werden lassen. Mit Best practice Netzwerken, Kuratorien und ambitionierten Beiräten, die diese Quartiere von der Auswahl der diversen Beteiligten bis hin zur Fertigstellung vor Ort begleiten.
Mir geht es um die verbindenden Visionen einer Gesellschaft, die Bilder von sich und ihrer Zukunft entwickelt und nach ihrer Realisierung strebt. Diese Willkommensstädte könnten zum Symbol für diese Gesellschaft werden.
Was kann die Immobilienwirtschaft dazu beitragen?
„Deshalb führt an kontinuierlicher Einwanderung und Integration kein Weg vorbei. Aber wie würde die aussehen, wenn wir nicht Getriebene wären, die immer nur das gezwungen Nötigste tun?“