Die Kolumne. Eike Becker: Minimum Maximum in der Immobilienwirtschaft 02/2024

Die Kolumne. Eike Becker: Minimum Maximum in der Immobilienwirtschaft 02/2024

Mitunter gelingt mit minimalem Aufwand große Lebensqualität.

Als Student an der Universität Stuttgart hatte ich nach einiger Zeit einen Arbeitsplatz in der Tübingerstraße bekommen. Ein angemieteter Altbau voller Studierender, Gleichgesinnter und Vorbilder aus den höheren Semestern. Ein sparsam angepasstes Haus voller Rat und Inspiration. Mein nächtlicher Weg mit dem Rad nach Hause führte über die Königstrasse am Parlament, dem Schloss und den Theatern vorbei. Für Studierende kostete der Eintritt wenig. In der Türlenstr. diente ein ehemaliges Kinderkrankenhaus vorübergehend als Studentenwohnheim. Gemeinschaftsküche und -toiletten, keinen Aufzug, kaum Schallschutz, aber das Haus wurde selbstverwaltet und brachte vom griechischen Maschinenbauer bis zur Kunststudentin von der Schwäbischen Alb lauter eigenartige Vögel zusammen.

Mein Zimmer war offensichtlich zuvor Teil der Intensivstation gewesen, die Sauerstoffanschlüsse waren noch vorhanden. Trotz der rohen Einfachheit eine ideale Wohn- und Arbeitssituation für meine damaligen Ansprüche. 

In den Jahren danach habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, wie diese hohe Lebensqualität, die damals mit minimalem Aufwand erreicht wurde, in heutige Gebäude übersetzt werden kann: für ein nomadisches, mit wenig Besitz beschwertes, jugendliches, gemeinsames Leben. Ein Hotel-Wohn-Büro-Marktplatz mit Dachterrasse. 

Heute leben in Städten wie Berlin, Frankfurt, Hamburg oder München über fünfzig Prozent der Haushalte als Singles. Millionen von ihnen können keine passende Wohnung finden. Viele fühlen sich in ihrer neuen Umgebung einsam. 

Unter den Labels Co-Living (das Wort „Co“ steht dabei für Community, also Gemeinschaft) Shared Living, Collaborative Living, Co-Housing, Mehrgenerationenhäuser oder Cluster-Wohnungen werden heute diese gemeinschaftlichen Wohnformen auch für Personen angeboten, die nicht studieren. Die Rechnung geht auf. Kleine Wohnungen sind günstiger herzustellen, erwirtschaften eine höhere Rendite und bieten den Mietern gleichzeitig ein gutes Gesamtpacket. Bei der entsprechenden Objektgröße können Räume zum gemeinschaftlichen Arbeiten, Kochen, Sport treiben und Entspannen angeboten werden. Das ist die Übersetzung der Wohngemeinschaft oder der Studierendenheime in ein wirtschaftlich und sozial tragfähiges Wohnkonzept. Es bietet mehr Lebensqualität, als eine kleine konventionelle und teurere Wohnung.

Leider kümmert sich darum gerade kaum einer. In Cannes auf der Mipim stehen andere Themen auf der Agenda. Anstatt mit neuen Geschäftsmodellen und Ideen auch mal die Landstraße bis hinauf in die Berge zu fahren, stehen dort die Meisten lieber geduldig auf dem Boulevard de la Croisette im Stau. Und versichern sich gegenseitig, dass gerade nichts mehr geht, ja, Europa und insbesondere Deutschland unrettbar verloren sind.

Neidvoll richten sich die Blicke auf Saudi-Arabien, die in ihrem Zelt voller Stolz direkt neben London und Paris, in einer selbstbewussten und glamourösen Präsentation ihr maximal ambitioniertes, Milliarden schweres Neom Projekt vorstellen. Dazu zählt The Line, ein 170 km langes, bis zu 500 m hohes Megawandstadtgebäude, das für bis zu neun Millionen neue Einwohner ohne Autos, Straßen und Kohlendioxidemissionen auskommen soll. Die Arbeiten daran haben begonnen. 

Auch die Stadt Trojena in den Bergen Saudi-Arabiens ist bereits im Bau. Eine Retortenstadt mit einem See in der Mitte, fast so groß wie der Bodensee. Der muss erst noch mit entsalztem Wasser aus dem 50 km entfernten Golf von Aqaba aufgefüllt werden. 2029 werden dort die Winter-Asienspiele stattfinden. Beeindruckende Maximum Next Level Star Wars Architekturen, erdacht von den besten Architekten der Welt. Mir sind im Zelt die neidvollen und beschämten Kommentare aufgefallen.

In Europa sind die Touristenattraktionen aber bereits gebaut. Die großen Kathedralen in der Isle de France stehen seit Jahrhunderten. Und in den Voralpen und der Côte d’Azur ist, zumeist zum Leidwesen der Einheimischen, jedes zweite Dörfchen ein touristischer Hotspot. 

Hier müssen andere Aufgaben im Vordergrund stehen. Zum Beispiel die Bauwirtschaft in eine Kreislaufwirtschaft zu transformieren. Stockholm tut sich mit einem liebevoll gebauten Stand hervor, den der Autocorso auf der Croisette im Vorbeifahren leicht mit einer Werkstatt verwechseln könnten. Er ist aus Abfallholz zusammengebaut und kann zu 100 % wieder recycelt werden.

Mitunter kommen gute Ideen viel unspektakulärer daher, als erwartet. Auch in Krisenzeiten.