Die Kolumne. Eike Becker "Spekulation" erschienen in Immobilienwirtschaft 07/2023

Die Kolumne. Eike Becker "Spekulation" erschienen in Immobilienwirtschaft 07/2023


Das Library & Learning Center der Wirtschaftsuniversität in Wien ist eine Sensation. Zaha Hadid hat dort ein Gebäude  entworfen, das die Schwerkraft überwindet. Es reckt sich in alle Richtungen, neigt und wiegt sich im Inneren um ein lichtdurchflutetes Forum, das mich beim Gang durch Schluchten, über Rampen und Treppen hinauf in begeistertes Staunen versetzt.

An einer gut sichtbaren Stelle ist zu lesen:

Die Wirtschaftsuniversität Wien dankt den Bürgerinnen und Bürgern, dass sie mit ihren Leistungen die Errichtung des Campus WU ermöglicht haben. Die öffentliche Finanzierung von Universitäten ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, einen Grundsatz unserer Verfassung leben zu können: „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“ (Art. 17, Staatsgrundgesetz von 1867), 4. Oktober 2013

Zehn Jahre später, am Ende eines bis dahin unvergleichlichen Immobilienbooms, treffe ich in München auf der Expo Real Niro Bathija, Senior Client Portfolio Manager. Aus der Perspektive eines Anlageberaters sind Immobilien keine gewinnbringende Anlageklasse. Bei „7% auf 10-jährige VW Anleihen“ kann er seinen Kunden nicht das für ihn undurchsichtige Immobiliengeschäft mit dem vagen Erfolg Versprechen auf ein paar Prozent Rendite empfehlen. 

So einfach ist das, wenn der Profit das alleinige Entscheidungskriterium ist. 

Aber da draußen, außerhalb der Charts auf dem Bildschirm, in den Städten und Gemeinden, fehlen passende Wohnungen für junge Menschen, Familien und Rentner, für gering Verdienende, die Mittelschicht und Zuwanderer. Es fehlen öffentliche Einrichtungen, Kindergärten, Schulen und Universitätsgebäude. Seit 1990 ist Berlin z. B. um 420.000 Menschen gewachsen. Gleichzeitig ist der Bestand an Sozialwohnungen von 340.000 auf 100.000 gesunken. In ganz Deutschland sind die Sozialwohnungen von 4 Millionen auf 1 Million gefallen. Heute ist der dramatische Verlust von bezahlbarem Wohnraum das wichtigste sozialpolitische Thema.

Da der Neubau nicht mit dem anhaltenden Zuzug in die urbanen Zentren mithält, führt das zu einem rasanten Anstieg der Mieten. Ein Preiswettbewerb, bei dem sich immer größere gesellschaftliche Gruppen in ihrer aussichtslosen Situation von denen abwenden, die sie für verantwortlich halten. 

In großen Teilen hat die Immobilienwirtschaft in den Boom Jahren, in denen Geld wenig kostete, die Geschäftsmodelle von Investmentbanken übernommen. Grundstücke und Gebäude wurden zu Spekulationsobjekten. Vielerorts wurde teuer gekauft, teurer verkauft und noch teurer weiterverkauft. 

Ein Schneeballsystem, dessen dramatischer Absturz gerade von slow motion auf fast forward schaltet. Die große Welle der Insolvenzen steht noch bevor. Bis die zu hohen Buchwerte korrigiert sind, die Zinsen nicht weiter steigen und die Baukosten zurückgegangen sind, werden Viele noch eine Weile mit den Aufräumarbeiten beschäftigt sein. 

Die Casino Mentalität hat auch vor der Bauwirtschaft nicht Halt gemacht. Die meisten Unternehmen haben die temporären Lieferengpässe für überhöhte Preisaufschläge genutzt und versuchen jetzt, diese so lange wie möglich zu verteidigen. 

Die Immobilienwirtschaft muss sich wieder zurückbauen. Und zu den langweiligen Geschäftspraktiken zurückkehren, die noch vor zwanzig Jahren ganz unspektakulär den Bau von bis zu 600.000 einfachen, kostengünstigen Wohnungen pro Jahr ermöglicht haben. 

Der neue Campus der Wirtschaftsuniversität Wien ist ein grandioses Beispiel dafür, wie weit Menschen kommen können, wenn sie zusammenlegen, kooperieren und mit Ambition etwas auf die Beine stellen.

Auch im Sozialen Wohnungsbau hat diese Beharrlichkeit und Kontinuität zu beeindruckenden Ergebnissen geführt. Insgesamt gibt es in Wien 890.000 Wohnungen. 60 Prozent der Bevölkerung lebt dort in einer geförderten oder kommunalen Wohnung. 

Mit der Internationalen Bauausstellung und seiner fast 100-jährigen, ununterbrochenen Geschichte im sozialen Wohnbau hat sich die Stadt europaweit als Kompetenzzentrum etabliert und zu einer der weltweit lebenswertesten Städte der Welt hochgearbeitet.

Die Lösung liegt immer im Miteinander.