Dieser Freitag war sonnig und warm. Einer der Nachmittage in Berlin, an dem die Stadt noch etwas grüner, luftiger und lässiger wirkte, als in den Tagen zuvor. Von der obersten Etage des gerade fertiggestellten Rohbaus bot sich mir mit den anderen Gästen des Richtfestes eine Aussicht über die ganze Stadt. Im Osten die Hochhäuser am Alex, im Westen die um den Breitscheidplatz. Alles wirkte von hier geordnet und wohl gefügt. Nach dem Richtspruch ist die Stimmung bereits ausgelassen, als sich ein Rechtsanwalt zu uns an den Tisch setzt. „Na, im September ist es das ja wohl gewesen mit der HOAI!“ eröffnet er offensiv das Gespräch. „Dann ist die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure Geschichte.“ Seine Schadenfreude traf mich unvorbereitet. Wow, ich konnte physisch das Knacken und Knallen hören, als das Eis unter meinen Füssen wegbrach. Ich kam mir vor, wie ein Eisbär, der auf einer einsamen Scholle aufs offene Meer hinaus treibt. Mit einem Schlag war ich wieder in der Realität angekommen. Die komplette Abschaffung der verbindlichen Mindest- und Höchstsätze für die Honorare kann ich mir auf meiner Eisscholle nicht vorstellen. Viel zu häufig hat die Berufung auf diesen Schutzheiligen aller Architekten und Ingenieure unsere schüttere Verhandlungsposition in Vertragsgesprächen gestärkt und uns ein halbwegs auskömmliches Honorar beschert. Das soll nun der Vergangenheit angehören? Mir kommen die Horden ausgehungerter Eisbären in den Sinn, die in diesem Winter dabei gefilmt wurden, wie sie in den Mülltonnen einer düsteren sibirischen Kleinstadt am Rande des Polarkreises nach Essbarem wühlten.